Julia Kröpelin
Aufbäumen vor der Realität
Die von Julia Kröpelin in ihrem jüngsten Zeichenzyklus entwickelten Szenarien sind von apokalyptischer Dramaturgie geprägt. Materie, Vegetation oder in ihrer Anatomie veränderte Körperpartien bersten und werden von
einer immensen, nicht näher definierten Kraft in den Raum katapultiert. Seltsam ineinander verschraubte
Zwitterwesen zeigen sich in extatischen Zuständen. Libidinös recken sich Zungen. Ein Huftier trommelt
phantastisch zum Angriff – die nahe seinen Hinterläufen platzierte Orchideenblüte erscheint so unvermittelt,
wie sie erotisierend wirkt. Die Darstellungen leuchten wie Splitter eines gigantischen Erzählstroms auf.
Dessen Zusammenhänge lassen sich nicht erschließen, aber doch erahnen. Protagonisten, meist in extremer
Unter- oder Aufsicht dargestellt, präsentieren sich in wechselnden Zusammenhängen. Vereinzelt, dann
wieder zu Paaren oder Gruppen zusammengeschlossen, treten Pferde, Rehe, Figuren und architektonische
Elemente auf, die mal an Behausungen, mal an Koppeleinfriedungen erinnern. So verschlungen lebendige
oder tote Materie sich aus dem Nichts in einem imaginären Zentrum aufbaut, so unterschiedlich sind auch
die Erzählstränge, die sich als trügerische Ariadnefäden erweisen.
Julia Kröpelin findet ihre Motive in einer genauen Beobachtung von Natur und städtischen Randzonen. So
verschränken sich auch in ihren Zeichnungen und Bildern räumliche Weite und genau definierte Orte. Diese
stellen sich jedoch nicht als Kopien natürlicher Landschaften oder architektonischer Bauformen aus Latten
und Pfählen gezimmerter Solitäre dar. Ihre Szenerien dekonstruieren in traumwandlerischer Sicherheit das
formal und thematisch vertraute Terrain einer vermeintlich wiedererkennbaren Wirklichkeit.
Doch auch märchenhafte Erzählungen, mythologische Themen und Comicfiguren bilden den Hintergrund
für die eher fiktional anmutende Bildsprache. Die Darstellung eines sich in die Höhe schraubenden
Schwanenkopfes schöpft aus der griechischen Mythologie, wenn er sich über einem Pferderumpf mit fast
bärenhaft geblecktem Maul emporhebt. In der Zeichnung ist jedoch nicht die mythische Erzählung dargestellt
– nach der die von Zeus in Form eines Schwans verführte Leda ihre Kinder aus einem Ei gebiert.
Der Akt der Gewalt ist vielmehr von jeglichem erzählerischen Moment befreit, um auf die ungezähmte Kraft
reduziert dargestellt zu werden, die dem dramatischen Vorgang innewohnt. Statt milchiger, blutiger oder
wässriger Flüssigkeitssröme, wie sie sich in den Skulpturen von Julia Kröpelin im Moment extremer Extension
diagonal durch den Raum spannen, sind es hier Federn, die einzeln aus der Szenerie hinaus wirbeln
und langsam zu Boden gleiten.