Der erste Blick in die Ausstellung zeigt "Kenny". Eine Sockelfigur, wohl ausHolz, die etwas von Nippes und Souvenir hat. Mit Lack überzogen, glitzertund glänzt die Figur; die Schnitte sind summarisch. Eine zurückgeschlagene Kapuze demaskiert: als Totenkopf, Affe oder Totenkopfäffchen, ein Gesicht, welches sich in erdigem Braun vom Farbton des Gewandes unterscheidet. Unterdem Stoff scheinen die Hände gefaltet, aber die Evokation wechselt zwischen Mönch und Sensenmann, Raver (wofür der Titel der Arbeit spricht) und den untoten Wesen aus einem Horrorfilm. "Kenny" ist darauf hin konzipiert, wie ein Denkmal umgangen zu werden.
Auf indirekte Weise – in der Farbgebung, in
der Gleichzeitigkeit von Intimität und Öffentlichkeit
– korrespondiert er mit der Beamer-Projektion von
Elke Nebel. "Kenny" ist eine Art Kabinettstück.
Lapidar und aus einem Dämmmaterial namens
Domodur gefertigt, ist dies eine Kunstfigur. Ihre
Bedeutung und ihre Quellen aber bleiben assoziativ,
die Geschichte und damit das Wesen von "Kenny"
werden dem Betrachter überantwortet.
Die Sockelfigur leitet – gemeinsam mit dem
kleineren, in der Raumecke projizierten Film
"Search for Magma" – hin zur "Bundeslade".
Diese steht separiert am Ende eines langen Ganges und ist mittels der Beleuchtung - das Licht steht im Zenit - weiter hervorgehoben. Sie lässt an einen Altar denken, zu dem man über das Hauptschiff schreitet. Eine derartige Erhabenheit hält den Besucher auf Abstand, unterstützt durch die querstehende Positionierung, die einem Lettner ähnelt – tatsächlich ist im Sujet diese Distanzierung angelegt. Wallhäuser bezieht sich auf das zweite Buch Mose im Alten Testament, in dem die Niederlegung der Gesetzestafeln mit den
zehn Geboten in einer Lade aus Akazienholz beschrieben ist.
Der Verbleib der "Bundeslade" als altisraelitischem
Heiligtum aber ist ein Mysterium. Aufgrund
der Angaben, die er im Sinne einer Konkordanz
zusammenzieht, rekonstruiert Wallhäuser die
"Bundeslade" zwischen Kopie und Original. Im
menschlichen Maß erweist sich die Konstruktion
als funktional, und der geschlossene, noch durch
den Stoffüberzug entzogene Kasten behält das
Geheimnis seines Inhalts für sich. Wallhäuser
simuliert einen denkbaren Kontext und imaginiert
den eintreffenden Fall. Die "Bundeslade" selbst
wechselt zwischen fein ziselierter Ausformung und
knapper Notation. Auch hier dominieren
Symmetrie und Zentrierung. In der Mitte der
Oberseite befindet sich, durch die beiden Cherubim
verdeckt, ein kleines Gefäß mit einer amorphen
Form, welche an einen Schädel erinnert. Die
Flügel der Cherubim bestehen aus
Aluminiumlamellen für Jalousinen. Die Engel
lassen sich verschiedenen Epochen zuordnen, als
Gewandfiguren der Gotik, hingegen verbleibt das
Gesicht der linken Figur in der handwerklichen
Tiroler Schnitzkunst. Teils ist die Materialität
"echt", der Stoff lässt den Schlafzimmerbezug
preiswerter Hotels anklingen und die Figuren selbst
besitzen die gleiche federleichte, "billige"
Konsistenz wie "Kenny". Constantin Wallhäuser
praktiziert einen Eklektizismus, der sich in seiner
plastischen Einheit erst allmählich zu erkennen
gibt. Die narrativen Konnotationen aber entwickeln
sich durch die Konstitution der Arbeit.
Wallhäuser ist Regisseur, der opulent inszeniert
und die Dramaturgie steuert.
Eine Türöffnung führt rechts der "Bundeslade" weiter. Dass im folgenden die Projektion von Elke Nebel von der Rückseite her zu sehen ist, wird zu einem Teil des – gemeinsamen - Konzeptes von
theatralischer Steigerung und gleichzeitiger Desillusionierung.
Die "Form des Sisyphos" aber hat einen eigenen Raum, die Schaufenster stellen den Blickkontakt zwischen innen und außen her.
Wallhäuser treibt die Differenz von alt und neu, Konstrukt und Realität auf die Spitze. Vor allem das rote, in seiner Handwerklichkeit kaum kaschierte Gestell, welches kantig (und ganz im Gegensatz zur metallenen Schnittigkeit des Trimm-Dich-Gerätes) einen Grundriss einzeichnet, weist auf Theaterkulissen. Das Fitnessgerät umfängt eine mannsgroße Scheibe, die den Eindruck von Marmor erweckt. Aber jede Maserung ist ein Fake und die Annahme, eine massive Form würde durch die Rollen geschliffen,
erweist sich als falsch. Die Vorstellung von Ewigkeit, welche den Stein ebenso wie die Handlung des Sisyphos kennzeichnet, wird dem
technischen Verschleiß ausgeliefert. Sisyphos aber ist abwesend, delegiert – eine andere Lesart – sein Handeln. Die Kunst Wallhäusers führt hier einen Trick ein, indem am Griff eine kleine Kamera montiert ist, die offensichtlich die Maserung aufzeichnet. Die Übertragung findet in den vorderen Raum statt, bei "Search for
Magma" sind die Linien in ihrem Verlauf, in der Rotation ertastet. Wie durch einen Satelliten oder wie vom Trüffelschwein wird die felsige und aderige Landschaft nach der "Magma" Elke Nebels abgesucht - alles weist auf alles und doch bleiben die Zusammenhänge vielschichtig, geheimnisvoll: werden zu Möglichkeiten.
Constantin Wallhäuser konstruiert. Zentrales Medium ist die Skulptur, deren Grundbedingungen einerseits gebrochen werden, andererseits
bedenkt er deren formale Bedingtheiten. Schwerkraft, Sockelthematik, Allansichtigkeit und Ponderation sind variantenreich gelöst. Und Wallhäuser bezieht die neuen Medien ein, schon in früheren Arbeiten verwendet er kinetische, akustische Momente ebenso wie Licht, Projektion und Film. Er agiert mit unterschiedlichen
Konnotationsebenen und der Multiperspektivität überlieferter Sachverhalte. Und er erfindet Fragmente denkbarer Geschichten. Im Mittelpunkt seiner Einzelausstellung bei Linn Lühn 2004 stand ein derartiges plastisches Bild, inszeniert aus einem präzise gebauten runden Steinbrunnen mit einer Holzkonstruktion zum Wasserschöpfen. An dem Seil aber hing ein merkwürdiger massiger
Torso aus Fell und Knochen, keinem Geschöpf zuzuordnen, nicht identifizierbar, noch eingezwängt im Holzdeckel, so als wäre der
Brunnen nach vielen Jahren zum ersten Mal geöffnet worden. Teil dieser Arbeit war ein Tropfgeräusch, das mit zeitlichem Abstand aus
dem Brunnen kam. Auch wenn man – irgendwann
dazu verführt – durch Berührung die
Künstlichkeit von "Stein" und "Holz" (von falscher
Anmutung und tatsächlicher Materialität) feststellt,
bleibt ein Gefühl zwischen Grausen
und Ekel am Stück Fleisch. Aber die Arbeit selbst
bleibt offener. Erzeugt wird eine unterschwelliges
Gefühl der Verunsicherung. (Alice im Aggressorland)