Constantin Wallhäuser


Die Ausstellung im Kunstraum in der Himmelgeisterstraße ist eine Inszenierung, explizit. Die Platzierung der Werke reagiert auf den Raum und der gestaltete Raum stützt, forciert die Inhaltlichkeit, erweist sich als Teil der Arbeit.- Vielleicht liegt dies schon im Wesen der Arbeiten von Elke Nebel und Constantin Wallhäuser. Ihre Beiträge schildern minutiös, sie agieren mit Nähe, Ferne und der Bewegung des Betrachters, und sie handeln mit Suggestion und Vorstellung. Im Falle von Constantin Wallhäuser auch mit der Dichotomie von Erfüllung und Enttäuschung.

Ein zentrales Moment der Arbeit von Constantin Wallhäuser ist die Auseinandersetzung mit der Präsenz von Mythen, ihrer Aktualität, Erinnerung und Überlieferung. Als Mythos ist vielerlei verfügbar: das Schauermärchen ebenso wie die orale Legende des Mittelalters, die Popkultur wie die Stoffeder Bibel und der klassischen Antike und wie die Kunstgeschichte... Immer umgibt eine Aura des Besonderen Wallhäusers Werke. Sie künden von Einmaligem und verdichten das narrative Potential in einem Bild. Kaum unterschiedlicher aber könnten die Inhalte sein, welche den neuesten Arbeiten zugrunde liegen, die hier hervorgehoben und gleichzeitig verwandelt sind. Schon auf den ersten Blick ist das nichts, das schnell, leichtfertig gemacht wäre; den Arbeiten geht ein sorgfältiges Quellenstudium voraus. Gleichwohl findet sich stets die Geste, die mit einem Mal alles in Frage stellt: Wie wenn ein Schalter umgelegt wird. Plötzlich sind da künstliche, billige Materialien heutiger Tage, die jedes Moment von Fragilität und Geschichte unterlaufen.Nichts ist mehr so, wie es eben noch war...

Der erste Blick in die Ausstellung zeigt "Kenny". Eine Sockelfigur, wohl ausHolz, die etwas von Nippes und Souvenir hat. Mit Lack überzogen, glitzertund glänzt die Figur; die Schnitte sind summarisch. Eine zurückgeschlagene Kapuze demaskiert: als Totenkopf, Affe oder Totenkopfäffchen, ein Gesicht, welches sich in erdigem Braun vom Farbton des Gewandes unterscheidet. Unterdem Stoff scheinen die Hände gefaltet, aber die Evokation wechselt zwischen Mönch und Sensenmann, Raver (wofür der Titel der Arbeit spricht) und den untoten Wesen aus einem Horrorfilm. "Kenny" ist darauf hin konzipiert, wie ein Denkmal umgangen zu werden. Auf indirekte Weise – in der Farbgebung, in der Gleichzeitigkeit von Intimität und Öffentlichkeit – korrespondiert er mit der Beamer-Projektion von Elke Nebel. "Kenny" ist eine Art Kabinettstück. Lapidar und aus einem Dämmmaterial namens Domodur gefertigt, ist dies eine Kunstfigur. Ihre Bedeutung und ihre Quellen aber bleiben assoziativ, die Geschichte und damit das Wesen von "Kenny" werden dem Betrachter überantwortet. Die Sockelfigur leitet – gemeinsam mit dem kleineren, in der Raumecke projizierten Film "Search for Magma" – hin zur "Bundeslade".

Diese steht separiert am Ende eines langen Ganges und ist mittels der Beleuchtung - das Licht steht im Zenit - weiter hervorgehoben. Sie lässt an einen Altar denken, zu dem man über das Hauptschiff schreitet. Eine derartige Erhabenheit hält den Besucher auf Abstand, unterstützt durch die querstehende Positionierung, die einem Lettner ähnelt – tatsächlich ist im Sujet diese Distanzierung angelegt. Wallhäuser bezieht sich auf das zweite Buch Mose im Alten Testament, in dem die Niederlegung der Gesetzestafeln mit den zehn Geboten in einer Lade aus Akazienholz beschrieben ist. Der Verbleib der "Bundeslade" als altisraelitischem Heiligtum aber ist ein Mysterium. Aufgrund der Angaben, die er im Sinne einer Konkordanz zusammenzieht, rekonstruiert Wallhäuser die "Bundeslade" zwischen Kopie und Original. Im menschlichen Maß erweist sich die Konstruktion als funktional, und der geschlossene, noch durch den Stoffüberzug entzogene Kasten behält das Geheimnis seines Inhalts für sich. Wallhäuser simuliert einen denkbaren Kontext und imaginiert den eintreffenden Fall. Die "Bundeslade" selbst wechselt zwischen fein ziselierter Ausformung und knapper Notation. Auch hier dominieren Symmetrie und Zentrierung. In der Mitte der Oberseite befindet sich, durch die beiden Cherubim verdeckt, ein kleines Gefäß mit einer amorphen Form, welche an einen Schädel erinnert. Die Flügel der Cherubim bestehen aus Aluminiumlamellen für Jalousinen. Die Engel lassen sich verschiedenen Epochen zuordnen, als Gewandfiguren der Gotik, hingegen verbleibt das Gesicht der linken Figur in der handwerklichen Tiroler Schnitzkunst. Teils ist die Materialität "echt", der Stoff lässt den Schlafzimmerbezug preiswerter Hotels anklingen und die Figuren selbst besitzen die gleiche federleichte, "billige" Konsistenz wie "Kenny". Constantin Wallhäuser praktiziert einen Eklektizismus, der sich in seiner plastischen Einheit erst allmählich zu erkennen gibt. Die narrativen Konnotationen aber entwickeln sich durch die Konstitution der Arbeit. Wallhäuser ist Regisseur, der opulent inszeniert und die Dramaturgie steuert.

Eine Türöffnung führt rechts der "Bundeslade" weiter. Dass im folgenden die Projektion von Elke Nebel von der Rückseite her zu sehen ist, wird zu einem Teil des – gemeinsamen - Konzeptes von
theatralischer Steigerung und gleichzeitiger Desillusionierung.
Die "Form des Sisyphos" aber hat einen eigenen Raum, die Schaufenster stellen den Blickkontakt zwischen innen und außen her.
Wallhäuser treibt die Differenz von alt und neu, Konstrukt und Realität auf die Spitze. Vor allem das rote, in seiner Handwerklichkeit kaum kaschierte Gestell, welches kantig (und ganz im Gegensatz zur metallenen Schnittigkeit des Trimm-Dich-Gerätes) einen Grundriss einzeichnet, weist auf Theaterkulissen. Das Fitnessgerät umfängt eine mannsgroße Scheibe, die den Eindruck von Marmor erweckt. Aber jede Maserung ist ein Fake und die Annahme, eine massive Form würde durch die Rollen geschliffen,
erweist sich als falsch. Die Vorstellung von Ewigkeit, welche den Stein ebenso wie die Handlung des Sisyphos kennzeichnet, wird dem
technischen Verschleiß ausgeliefert. Sisyphos aber ist abwesend, delegiert – eine andere Lesart – sein Handeln. Die Kunst Wallhäusers führt hier einen Trick ein, indem am Griff eine kleine Kamera montiert ist, die offensichtlich die Maserung aufzeichnet. Die Übertragung findet in den vorderen Raum statt, bei "Search for
Magma" sind die Linien in ihrem Verlauf, in der Rotation ertastet. Wie durch einen Satelliten oder wie vom Trüffelschwein wird die felsige und aderige Landschaft nach der "Magma" Elke Nebels abgesucht - alles weist auf alles und doch bleiben die Zusammenhänge vielschichtig, geheimnisvoll: werden zu Möglichkeiten.

Constantin Wallhäuser konstruiert. Zentrales Medium ist die Skulptur, deren Grundbedingungen einerseits gebrochen werden, andererseits bedenkt er deren formale Bedingtheiten. Schwerkraft, Sockelthematik, Allansichtigkeit und Ponderation sind variantenreich gelöst. Und Wallhäuser bezieht die neuen Medien ein, schon in früheren Arbeiten verwendet er kinetische, akustische Momente ebenso wie Licht, Projektion und Film. Er agiert mit unterschiedlichen Konnotationsebenen und der Multiperspektivität überlieferter Sachverhalte. Und er erfindet Fragmente denkbarer Geschichten. Im Mittelpunkt seiner Einzelausstellung bei Linn Lühn 2004 stand ein derartiges plastisches Bild, inszeniert aus einem präzise gebauten runden Steinbrunnen mit einer Holzkonstruktion zum Wasserschöpfen. An dem Seil aber hing ein merkwürdiger massiger Torso aus Fell und Knochen, keinem Geschöpf zuzuordnen, nicht identifizierbar, noch eingezwängt im Holzdeckel, so als wäre der Brunnen nach vielen Jahren zum ersten Mal geöffnet worden. Teil dieser Arbeit war ein Tropfgeräusch, das mit zeitlichem Abstand aus dem Brunnen kam. Auch wenn man – irgendwann dazu verführt – durch Berührung die Künstlichkeit von "Stein" und "Holz" (von falscher Anmutung und tatsächlicher Materialität) feststellt, bleibt ein Gefühl zwischen Grausen und Ekel am Stück Fleisch. Aber die Arbeit selbst bleibt offener. Erzeugt wird eine unterschwelliges Gefühl der Verunsicherung. (Alice im Aggressorland)