Neringa Naujokaite "Name einfügen"


Mit dem Titel "Name einfügen" gibt Neringa Naujokaite den thematischen Rahmen an, innerhalb dessen die großformatige Videoinstallation gelesen werden kann. Der kürzelhafte Appell bezieht sich auf den bürokratischen Sprachgebrauch, wie er auf Amtsvordrucken und Formularen zu finden ist. Mit dem
Eintrag des Namens beginnt ein Prozess, der die persönliche Vielschichtigkeit des Menschen auf linear-kausale Datenreihen reduziert – ein erster Schritt in die Verwaltungsmaschinerie ist getan.

Die Unerbittlichkeit dieser Maschinerie und die Härte der gefolgerten Konsequenzen visualisiert die Dokumentation des Schicksals einer jungen afrikanischen Frau, die die Künstlerin in einem Neusser Abschiebegefängnis gefilmt hat. Die dokumentarische Ebene wird im Medium einer komplexen Videoinstallation vermittelt, die das Thema durch eine pointierte Dramaturgie verrätselt und den Betrachter zur Rekonstruktion von Sinn auffordert. Zwei synchronisierte Videoprojektionen sind auf eine Projektionsfläche ausgerichtet, die aus einzelnen Lamellen besteht. Die Lamellen sind rechtwinklig zueinander gestellt, die Struktur erinnert an einen auseinander gezogenen Leporello. Die Projektoren sind derart eingerichtet, dass die Flächen der Lamellen, die nach links weisen, eine Projektion abbilden, die nach rechts weisen, zeigen die andere Projektion. Die Installation ist so in den Raum gesetzt, dass ein Betrachter zunächst nur eine von beiden Filmsequenzen wahrnimmt: Er sieht eine junge Frau, sicherlich eine Europäerin, die mit dunkler, echoverzerrter Stimme in gebrochenem Deutsch über ein rätselhaftes Erlebnis berichtet. Das Bild der Frau und die Stimme stehen in einem merkwürdigen Widerspruch zueinander.

Indem der Betrachter seinen Standpunkt verändert, kann er auf der anderen Seite der Lamellen die zweite Filmsequenz wahrnehmen: Er begegnet den markanten Gesichtszügen einer Afrikanerin, offensichtlich die Person, zu der die Stimme und der Schicksalsbericht passen. Sie berichtet über Situationen und Gefühle, sie versucht ihr Bild dessen zu entwerfen, was es bedeutet eingesperrt zu sein, einer Zukunft bar jeglicher Gewissheit entgegen
zu sehen. Ihr Bericht kreist um Angst, Trauer und Verzweiflung, ist jedoch auch mit Humor und ironischen Reminiszenzen durchsetzt. Die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit, der eigenen Rechtlosigkeit, bilden das bittere Resümee der Erzählung. Zur Passivität verurteilt, erduldet die Protagonistin ihr Schicksal, in dem ihre Gottesgläubigkeit der einzige Hoffnungsschimmer bleibt. Die Authentizität des Berichts, die existenzielle und emotive Vortragsweise der Afrikanerin machen befangen, bieten dem Betrachter Einblick in eine unbekannte, wohl auch gerne verdrängte Welt. Der gleiche Text, von der jungen Europäerin vorgetragen und synchron eingespielt, wirkt befremdlich, unpassend. In der Gegenüberstellung der beiden Bildebenen ist der Betrachter aufgerufen, die Authentizität der Erzählung zuzuordnen – den Text als die Darstellung eines spezifisch afrikanischen Schicksals in Deutschland zu begreifen. (Michael Voets)