Leunora Salihu


Es ist nicht leicht, sich auf dem eng abgesteckten und intensiv
bearbeiteten Feld klassischer Skulptur zu bewegen. Hier gelingt
es. Ganz offensichtlich beschäftigen die Künstlerin traditionelle
Themen der Bildhauerei: eine konstruktive Herangehensweise
beim Aufbau der Skulpturen, eine materialgerechte Bearbeitung,
die aus dem Material entwickelte Farbtonpalette, die Auseinandersetzung mit Raum und Umraum und vor allem die Behandlung der Skulptur-Sockel-Problematik. Im Falle von Leunora Salihu, als ehemalige Meisterschülerin von Tony Cragg, kommt zudem die Notwendigkeit hinzu, eine Position zu entwickeln, die sich
dezidiert von der allpräsenten Sprache des ehemaligen Lehrers
unterscheidet.
In den letzten drei Jahren hat die Künstlerin eine erstaunliche
Werkproduktion vorgelegt. 2010 entstand "Tube End"; ihre bisher
größte Skulptur, temporär für den Moltkeplatz in Essen entwickelt,
die das ganze Repertoire möglicher Entwicklungsfelder und die künstlerische Entschlossenheit von Salihu erahnen lässt.
Dieses ungewöhnliche Gebilde, das zwischen einem biologischen
Organismus und technischer Anlage oszillierte, schien zu rattern
und zu knattern und förmlich in der Lage wie ein neuzeitlicher
Lindwurm über den Platz zu fegen, wäre es nicht mittels eines
langen Rohres mit dem Bodengrund verhaftet. Modulare, handwerklich seriell gefertigte Elemente zu Formschichtungen zu verbinden, so könnte man das Arbeitsprinzip von Leunora Salihu umschreiben, das sie mit unterschiedlichsten Materialien (Holz, Gips, Ton) und in verschiedenen Dimensionen bewältigt. Sie erklären die Dynamik und Leichtigkeit ihrer massiven Skulpturen. Doch sagt dieses nur wenig über den Erfindungsreichtum ihrer Formfindungen. Ihre aus unzähligen Tonscheiben zusammengesetzten Raumkörper wurden mit Korbgeflechten, Insektennestern und Lüftungsapparaten verglichen. Die unauflösbare Verknüpfung der Formen mit ihren Sockelelementen schafft vielschichtige Assoziationsfelder zur Architektur, zu Möbeln und zum Design. Bisweilen erinnern Skulpturen an surreale und literarische Kontexte. Mit einer schieren Selbstverständlichkeit ist Alltagswelt in die Skulpturen eingeschmolzen, die zu Kontaktflächen zur Umwelt werden. Von einer unmittelbaren Vertrautheit angelockt, wird das faszinierende Spiel genauer Betrachtung erst beim zweiten Blick beginnen.

Sabine Maria Schmidt